12.09.2023 - Allgemein, Luftfahrt

Flug der deutsch-japanischen Freundschaft

Am 12. September 2023 ist es (mal) wieder so weit: Der Airbus A310 der Firma Novespace ist um 9:00 Uhr vom Flughafen Bordeaux-Mérignac aus gestartet, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen mit ihren Experimenten in die Schwerelosigkeit zu bringen. Es ist der erste von insgesamt drei Flügen in der 41. Parabelflugkampagne der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR, die vom 4. bis zum 15. September 2023 in Bordeaux stattfindet. An Bord sind elf Experimente – fünf aus den Bereichen Biologie und Lebenswissenschaften, eins aus der Biotechnologie sowie drei aus der Grundlagenphysik, eins aus den Materialwissenschaften und eins aus dem Bereich Technologie.


Bild: DLR

„Mit an Bord der 41. Kampagne ist dieses Mal auch ein ganz besonderes Experiment: Denn wir haben ein Team aus Japan mit dabei, das gemeinsam mit einem deutschen Team der Planetenentstehung auf den Grund geht. Wir freuen uns sehr, dass unsere Flüge in die Schwerelosigkeit immer internationaler werden und auch Teams aus fernen Ländern die Chance ergreifen, ihre Experimente, in Kooperation mit deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, bei uns in die Schwerelosigkeit zu bringen“, freut sich Dr. Katrin Stang, Parabelflug-Programmleiterin bei der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR, auf die anstehenden Flugtage. Das besagte deutsch-japanische Experiment „ice-DUST“ ist eines von drei neuen Experimenten und untersucht, wie sich Eis-Nanopartikel und Wassermoleküle zu immer größeren Staubpartikeln verklumpen, deren Entstehung dann letzten Endes zum Verständnis der Planetenentstehung beiträgt. Das ebenfalls neue Experiment „DALERA“ testet eine neue 3D-Bioprinting-Methode in Schwerelosigkeit für die medizinische und auch für die nichtmedizinische Anwendung. Das „Tears in Heaven“-Experiment untersucht, ob Messungen des Lidschlages und der Tränenfilmdynamik Rückschlüsse auf den Zustand der Augenoberfläche in Schwerelosigkeit zulassen.

Reserveastronautinnen bekommen Vorgeschmack auf Experimentieren in Schwerelosigkeit

Zwei Experimente haben auf dieser Kampagne zudem ein prominentes Teammitglied: Die deutsche ESA-Reserveastronautin Amelie Schoenenwald wird den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Experiment „TRANSEUGRA“ zur Seite stehen, um mehr über diese besonderen Einzeller in Erfahrung zu bringen. Die andere deutsche ESA-Reserveastronautin Nicola Winter wird beim „SCARLETT“-Experiment unterstützen und damit dazu beitragen, das Abrutschen eines Hügels, Berges oder Kraters auf einer simulierten Marsoberfläche zu untersuchen. So können die beiden schon einmal für einen möglichen Einsatz auf der Internationalen Raumstation ISS im freien Fall experimentieren und so einen Vorgeschmack auf die Arbeit in Schwerelosigkeit bekommen.

Ice-DUST – Wie Planeten aus Eis und Staub entstehen

In den Tiefen des Weltalls entsteht in kalten Molekülwolken auf den Oberflächen kosmischer Staubpartikel Wassereis. Kommt es darüber hinaus zur Bildung weiterer Moleküle, dann scheiden sich diese hauptsächlich auf den Eisoberflächen ab. Wenn sich später eine protoplanetare Scheibe und schließlich ein neues Planetensystem aus dieser Molekülwolke bildet, erhöht sich die Temperatur zuerst, bevor die protoplanetare Scheibe wieder abkühlt. Dadurch verdampft das Eis zunächst, ehe die Wassermoleküle sich auf den Staubteilchen wieder abscheiden. Die Sublimation findet im thermischen Gleichgewicht statt, während die Kondensation als Nicht-Gleichgewichts-Prozess abläuft und die Keimbildung miteinschließt. Daher sind theoretische Vorhersagen über die Bildung von Eispartikeln in jungen Planetensystemen schwierig und die Temperatur- und Dichtebedingungen für sublimiertes Eis, das den Staub wieder bedeckt, sind nicht eindeutig. Das deutsch-japanische Forscherteam der Technischen Universität Braunschweig will im Parabelflug durch Keimbildungsexperimente an Mineralstaub die wichtigsten physikalischen Größen wie freie Oberflächenenergie und Haftwahrscheinlichkeit von Eis-Nanopartikeln in der tatsächlichen Partikelgröße im Nanometerbereich und unter realistischen Temperatur- und Druckbedingungen bestimmen, um mehr über die Entstehung von Planeten zu erfahren.

DALERA – 3D-Bioprinting in Schwerelosigkeit

Wollen wir den Mond und später auch den Mars astronautisch erforschen, muss die Besatzung an Bord von Raumschiffen medizinisch versorgt und gleichzeitig der Betrieb lebenserhaltender Systeme verbessert werden. Für beides zeigt das 3D-Bioprinting – also der 3D-Druck unter Einbeziehung lebender Zellen – großes Potenzial. So können „maßgeschneiderte“ Gewebe für Menschen autark hergestellt werden, um Verletzungen der Besatzung wie zum Beispiel Hautwunden unabhängig von der Erde im Weltraum behandeln zu können. Darüber hinaus kann diese äußerst vielseitige Technologie auch für nichtmedizinische Anwendungen wie die Schaffung von Lebenserhaltungssystemen, die Produktion von Nahrungsmitteln oder zur Arzneimittelsynthese genutzt werden – beispielsweise durch das Biodrucken von Mikroalgen oder Pflanzenzellen. Die gewonnenen Erkenntnisse dieser Parabelflug-Mission sollen helfen, den Einfluss von Schwerelosigkeit auf den Druckprozess des 3D-Bioprintings besser zu verstehen. Das Team von der Technischen Universität/Uniklinikum Dresden will mit DALERA Experimente an Bord der Internationalen Raumstation ISS vorbereiten, auf der bis Ende 2026 ein 3D-Biodrucker von der Europäischen Weltraumorganisation ESA für Forschungszwecke installiert werden soll.

Tears in Heaven – Wie Tränen in Schwerelosigkeit richtig (ab)fließen

Astronautinnen und Astronauten sind in der Schwerelosigkeit besonderen Umgebungsbedingungen ausgesetzt, die sich auf ihre alltägliche Arbeit an Bord der Raumstation auswirken können. So treten zum Beispiel häufig Probleme mit der Augenoberfläche auf, die aber bisher nicht angemessen untersucht oder behandelt wurden. Zu den Symptomen vom Trockenen Auge gehören Augenreizungen, Überanstrengung der Augen, Fremdkörpergefühl und verschwommenes Sehen. Diese Symptome werden von Astronauten häufig angegeben, wobei über 30 Prozent der Mitglieder von ISS-Crews von Reizungen und Fremdkörpergefühlen berichten. Erste Analysen anhand von Portraitaufnahmen von Astronauten ergaben, dass beispielsweise die Augenbrauenhöhe signifikant in der Mikrogravitation zunimmt. Dies könnte sich negativ auf den Lidschlagprozess auswirken. Dabei ist ein gesunder Tränenfilm – und damit eine klare Sicht – eine der Voraussetzungen für funktionstüchtige Augen und gleichzeitig die Grundlage für ein erfolgreiches Arbeiten innerhalb und vor allem auch außerhalb der ISS. Die Forschungsarbeiten des Teams der Universität des Saarlandes auf der Erde haben gezeigt, dass Messungen des Lidschlages und der Tränenfilmdynamik Rückschlüsse auf den Zustand der Augenoberfläche zulassen. In dieser ersten Phase des Projekts „Tears in Heaven“ wollen sie testen, ob und wie sich Tränenfilm und Lidschlag in der Schwerelosigkeit und der doppelten Schwerkraft untersuchen lassen.

TRANSEUGRA – Wahrnehmung von Licht- und Schwerkraft bei Einzellern

Einzeller – wie zum Beispiel die Süßwasseralge Euglena gracilis – reagieren empfindlich auf Veränderungen in ihrer Umwelt. „Da sich aus dieser Alge biotechnologisch und medizinisch bedeutsame Substanzen mit breitem Anwendungsspektrum gewinnen lassen und sie daher zunehmend eine wichtige Rolle in der Biotechnologie spielt, wollen wir mehr zu deren Orientierungsverhalten bezüglich Licht und Schwerkraft herausfinden. Nur so kann die Massenproduktion dieser Alge in Zukunft weiter verbessert werden. Da ich mich schon während meines Studiums für Astrobiologie interessiert habe, freue ich mich jetzt besonders darauf, einmal selbst in Schwerelosigkeit Hand anlegen zu können. Das geht nur im Parabelflug oder auf der ISS“, erklärt Amelie Schoenenwald, die die Universität Erlangen bei ihren Versuchen unterstützt. So schwimmen die Zellen zum Beispiel auf schwache Lichtquellen zu und von starken Lichtquellen weg. Außerdem zeigen sie bei plötzlicher Veränderung der Lichtintensität ein Taumelverhalten. Die Zellen sind zusätzlich in der Lage, Schwerkraft wahrzunehmen und ihr Schwimmverhalten entsprechend auszurichten. Ohne Licht schwimmen die Zellen entgegen der Gravitation nach oben. Da sich die Signalwege der Licht- beziehungsweise Schwerkraftwahrnehmung überschneiden, soll in den Flugexperimenten unter anderem eine mögliche Interaktion untersucht werden. Nur in Schwerelosigkeit lässt sich die Wahrnehmung des Lichts getrennt von der der Beschleunigung untersuchen, da keine Erdanziehungskräfte auf die Zellen mehr wirken.

SCARLETT – Wenn Marshänge im Parabelflug ins Rutschen geraten

Der Mars hat eine extrem dünne Atmosphäre. Herrscht auf der Erde ein Druck von etwa 1.000 Hektopascal, so ist er auf dem Marsboden im Mittel gerade einmal sechs Hektopascal schwach. Dieser geringe Druck hat Folgen: Gas bewegt sich in den Poren von kalten zu warmen Stellen, was als thermisches Kriechen bekannt ist. In unserem Sonnensystem findet man dieses Phänomen nur im Marsboden. „Schon während meines Studiums hat mich interessiert, welchen Gesetzmäßigkeiten die Planeten in unserem Sonnensystem unterworfen sind. Als ich gefragt wurde, ob ich im Parabelflug an einem solchen Experiment mitwirken will, war ich sofort mit dabei. Denn so kann ich mich sehr gut auf einen späteren Einsatz im Weltraum vorbereiten“, sagt Nicola Winter, die in Bordeaux Forscherinnen und Forscher der Universität Duisburg-Essen unterstützt. In SCARLETT wird untersucht, ob und wie der Hang eines Hügels, Berges oder Kraters oberhalb eines bestimmten Neigungswinkels durch thermisches Kriechen abrutscht. Denn auch in Marskratern beziehungsweise auf Marshängen werden diese Hänge oberhalb eines bestimmten Winkels instabil und rutschen ab. Allerdings sind diese Hänge viel flacher als erwartet. Die Forscherinnen und Forscher wollen herausfinden, unter welchen Bedingungen und bei welchem Winkel die Hänge zu rutschen beginnen.

Quelle: https://www.dlr.de/de/aktuelles/nachrichten/2023/03/flug-der-deutsch-japanischen-freundschaft