27.06.2024 - Allgemein, Raumfahrt

Ein Satellit im Wohnzimmer

Nicht viele Raumfahrtingenieure haben einen so speziellen Übernachtungsgast im Wohnzimmer: Elf Kilogramm schwer und nur 20 mal 20 mal 20 Zentimeter groß – das ist der Nanosatellit SALSAT. Wie es zu diesem ungewöhnlichen Besuch kam und welche Herausforderungen eine Karriere in der Luft- und Raumfahrtbranche mit sich bringen, erzählt Jens Freymuth im Porträt.


Bild: privat

Jens Freymuth arbeitet am Fachgebiet Raumfahrttechnik des Institutes für Luft- und Raumfahrt der Technischen Universität Berlin. Hier leitet der gebürtige Potsdamer seit 2022 als Projektleiter das Forschungsvorhaben RACOON (Robust and secure post quantum communication for critical infrastructure), das kritische Infrastrukturen mithilfe von Satellitenkommunikation vor Cyberangriffen schützen soll. Darüber hinaus kümmert sich Freymuth aktuell um die Satellitenmission NanoFF (Nanosatelliten im Formationsflug), bei der zwei hochintegrierte kompakte CubeSats einen Formationsflug im Orbit absolvieren. Gestartet sind die Satelliten Anfang Dezember 2023, der erfolgreiche Erstkontakt folgte im Januar 2024. „Was mich fasziniert ist, dass Luft- und Raumfahrt beides hochinnovative Bereiche sind, in denen wir die neuesten und besten Technologien kombinieren müssen, um unsere Ziele zu erreichen“, erzählt Jens Freymuth begeistert.

Der TU Berlin ist Freymuth bereits seit dem Bachelorstudium treu: 2010 startete er im Studiengang Verkehrswesen mit der Vertiefung Luft- und Raumfahrttechnik. Obwohl er heute in der Raumfahrt tätig ist, widmete er sich zuerst der Luftfahrt: „Ich habe zu Beginn des Bachelorstudiums sehr für unbemannte Luftfahrtsysteme interessiert. Aus diesem Grund habe ich auch in Studierendenprojekten, wie zum Beispiel IFSys gearbeitet, in dem wir von 2012 bis 2016 einen unbemannten Flugversuchsträger entwickelt haben.“ Sein Karriereziel fest im Blick bewarb sich Freymuth anschließend für ein Trainee-Programm bei Boeing in den USA. Die Zusage kam und 2016 ging es für den damals 26-Jährigen ein dreiviertel Jahr als Design-Ingenieur ins Boeing-Werk in Everett, Washington. Dort wirkte er im Bereich Cargo Design Engineering an Optimierungen der Modelle 767F, 777F und 747-8F mit.

Den eigenen Weg finden

Dass Jens Freymuth nicht in den USA blieb und heute von Berlin aus Satelliten ins All schickt, ist einem glücklichen Umstand geschuldet: „Zum Ende des Bachelorstudiums realisierte ich, dass die Technologien aus Luft- und Raumfahrt viele Gemeinsamkeiten haben. Deswegen entschloss ich mich, mir einige Raumfahrtkurse anzuhören, um Grundlagen zu sammeln.” Zu den zwei Kursen gehörte das Seminar „Raumfahrt, Planung- und Betrieb” bei Prof. Dr. Klaus Brieß. Inhaltlich ging es um Projektplanung und darum, wie eine Mission genau abläuft. Die Inhalte haben ihn nachhaltig fasziniert und im Masterstudium konzentrierte er sich bis zum Abschluss in 2017 vollständig auf die Raumfahrt und den Satellitenentwurf.

Bei seinem Werdegang begleitet ihn die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) maßgeblich. Freymuth ist bereits seit 2011 Mitglied in der DGLR – schon im zweiten Semester begeistert ihn sein Studienkollege Robert Kossakowski für eine Mitgliedschaft. Zu dem Zeitpunkt sind junge Mitglieder eher eine Ausnahme. Mittlerweile gibt es einen Jungen Senat, der sich für die Ziele der jüngeren Generation einsetzt. Freymuth gehört zu den Gründungsmitgliedern. „Das Schöne ist, wenn man sich engagiert, hat man die Möglichkeit an vielen Themen in der DGLR mitzuwirken und dadurch die Weichen für die Zukunft zu stellen. So hat mich Stefan Hein, Bezirksgruppenleiter von Berlin-Brandenburg, bereits als Student gefragt, ob ich Lust hätte, mich in der Bezirksgruppenleitung zu engagieren. Solche Möglichkeiten motivieren vor allem junge Mitglieder natürlich sehr”, sagt Freymuth. Auch fachlich begleitete ihn die DGLR während seines Studiums. Er nahm an Weiterbildungen auf dem Deutschen Luft- und Raumfahrtkongressen teil und öffnete den Mitgliedern seines Studierendenprojektes IFSys (Intelligentes Fliegendes System) mit der Aufnahme als DGLR-Nachwuchsgruppe neue Türen.

„Gerade Studierende und Young Professionals profitieren von einer Mitgliedschaft besonders“, findet er. Denn wer zum Anfang der Karriere noch kein eigenes Netzwerk hat, profitiert vom Austausch und der Erfahrung anderer DGLR-Mitglieder. Ein Pluspunkt sowohl für die Karriereplanung als auch inhaltlich für die eigene Arbeit, wie Freymuth selbst erfuhr, als er als Berufseinsteiger eine komplexe Platine für eine Satellitenkommunikationsnutzlast entwickeln sollte. Da er kein ausgebildeter Elektrotechniker ist, freute er sich, dass er sich mit vielen Kolleginnen und Kollegen im DGLR-Netzwerk dazu austauschen konnte.

Ein Satellit zu Besuch

So wirkte er schließlich auch an der Nanosatellitenmission SALSAT (Spectrum AnaLysis SATellite) mit. Mit SALSAT ermittelt das Fachgebiet Raumfahrttechnik der TU Berlin in Zusammenarbeit mit der deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die reale Auslastung des Funkspektrums im Orbit, damit dieses effizienter und nachhaltiger genutzt werden kann. Nach zwei Jahren intensiver Entwicklungszeit startete der Nanosatellit am 28. September 2020 in seine sonnensynchrone Umlaufbahn im niedrigen Erdorbit auf ungefähr 575 Kilometer Höhe. Bis dahin war es ein schwieriger Weg. „Im Februar 2020 konnten wir anfangen, den Satelliten bei uns im Labor zu integrieren“, erinnert sich Freymuth. „Doch dann kam die Pandemie und mit ihr die vorgeschriebene Isolation. Eine große Herausforderung, denn ein Satellit integriert sich nicht von alleine und verschieben konnten wir als Mitstarter den geplanten Raketenstart nicht.“ Als Projektleiter war er an dieser Stelle in einer unbequemen Situation, musste abwägen zwischen der Gesundheit seines Teams und dem Zeitdruck für die Erreichung der Projektziele. Während die Infektionszahlen in die Höhe schnellten, änderten sich die Zuständigkeiten und gültigen Regelungen täglich.

Außergewöhnliche Situationen erfordern allerdings auch außergewöhnliche Maßnahmen: „Als Projektleiter habe ich gemeinsam mit unserem Projektbetreuer beim DLR, Siegfried Voigt, auch unkonventionelle Entscheidungen treffen müssen. Unter anderem haben wir entschieden, dass einzelne Mitarbeiter an Teilen des Satelliten zu Hause arbeiten dürfen. Hierfür haben wir luftdichte, geschirmte Schutzgehäuse verwendet und dokumentiert, wo sich welche Hardware befand. Als Projektleiter stand bei mir später ein halb integrierter Satellit im Wohnzimmer. Dies führte zu spannenden Situationen: Meine Frau hat uns teilweise nachts per Telefonkonferenz geholfen, wenn für Tests kurzfristig Änderungen am Modell vorgenommen werden mussten.“ Heute kann Freymuth über die Situation schmunzeln, damals war es die bis dato größte Herausforderung seiner Karriere. Der Erfolg am Ende war der beste Lohn dafür: „Es war eine sehr herausfordernde Situation und wir haben es trotzdem geschafft! Es ist alles noch pünktlich fertig geworden und der Moment, des erfolgreichen Erstkontakts war unglaublich!“

Und in Zukunft?

Langweilig wird Jens Freymuth in nächster Zeit bestimmt nicht. Neben seinen beiden aktuellen Projekten RACOON und NanoFF hat er sich dem Thema robuster Kommunikation und Cybersecurity für Kleinsatelliten verschrieben. „Diese Thematik wird zukünftig, gerade vor dem aktuellen geopolitischen Hintergrund, eine wichtige Rolle in der Raumfahrt spielen. Unser alltägliches Leben hängt zunehmend von satellitengestützten Diensten ab und diese müssen wir entsprechend vor Gefahren schützen. Vor allem das Thema Cybersecurity gewinnt hierbei immer mehr an Bedeutung und wird aktuell im Kleinsatellitenbereich leider noch oft unterschätzt.“ Mit Quantum Galactics hat Freymuth ein Start-up gegründet, das Lösungen zum Schutz von Kleinsatelliten vor Cyberangriffen entwickelt. Zusätzlich schreibt er an seiner Doktorarbeit mit ähnlichem Schwerpunkt.

Aber nicht nur beruflich läuft es gut für den 34-jährigen: Freymuth und seine Frau erwarten ihre zweite Tochter und die Familienzeit ist ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. „Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit, in diesen tollen Projekten zu arbeiten, auch wenn man sehr viele Abstriche macht – gerade im privaten Bereich. Ich würde mir zukünftig wünschen, Familie und Beruf besser vereinen und mehr Zeit mit meiner Frau und meinen Töchtern verbringen zu können. Wer weiß, vielleicht arbeiten sie später auch in der Luft- und Raumfahrt und werden DGLR-Mitglieder“, lächelt Freymuth.

Quelle: DGLR-Mitgliedermagazin "Luft- & Raumfahrt", Ausgabe 2, 2024

Das Interview führte Nicole Kretschmer, Chefredakteurin des DGLR-Mitgliedermagazins "Luft- & Raumfahrt".